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Freitag, 20. Juni 2008

Tränen gelacht

Vor der Fensterfront streifen marodierende Horden in Schwarz-Rot-Gold vorbei, man sieht sie, doch Gott sei dank kann man sie nicht hören.
Kelley Stoltz aus San Francisco und seine sechs Bandmitglieder waren zunächst nicht sicher, ob der Zeitpunkt für ihr erstes und einziges Deutschlandkonzert ein gut gewählter war: Deutschland unerwarteterweise im Halbfinale, der Kiez 100 Meter entfernt, der Laden voll mit Leuten, die sich eben noch interessiert (wenn auch nicht fahnenschwenkend) das Spiel angeguckt hatten. Diese Faktoren können schon etwas einschüchternd wirken. Nichtsdestotrotz trauten sie sich auf (bzw. vor, Kelley Stoltz selber paßte nicht mehr 'drauf) die winzige Bühne der Hasenschaukel und machten den Raum für die nächste Stunde zum schönsten Refugium im Wahnsinn. Tatsächlich waren viele Leute nicht wegen des Fußballspiels gekommen, sondern hatten sich, den beflaggten Massen zum Trotz, wegen der Band hier eingefunden (ein junger Mann war aus Oslo angereist und kippte begeistert ein Astra nach dem anderen in sich hinein).

Wir erfuhren einmal mehr, daß Idole auch bloß Menschen sind und Würde unentbehrlich ist, als Kelley die Geschichte erzählte, wie man ihm zum 18. Geburtstag eine Karte für die dritte Reihe beim Konzert seines Helden Leonard Cohen schenkte (Wer schenkt mir eine Karte für das "Stimmen der Welt"-Festival in Lörrach? Es könnte mein erstes Leonard-Cohen-Konzert werden!), er gespannt, inmitten von herumfliegenden Rosen, auf den Auftritt des Meisters wartete und dieser endlich, endlich die Bühne betrat: Den feinsten Zwirn am Leibe, die Haare auf das Sorgfältigste frisiert, an den Füßen die coolsten Schlangenlederboots, ein großer, eleganter Mann, der wohl bestriechendste Mann der Welt. Ein Mann mit einem unübersehbaren Pissfleck zwischen den Beinen.
Kelley erzählt diese Geschichte so eindringlich und voller Bewunderung, wir hängen an seinen Lippen.
Eine Frau öffnet die Tür, wagt sich vorsichtig hinein, wähnt sich plötzlich mitten auf der Bühne, die Kelley Stoltz ziemlich ausgedehnt hat. Er unterbricht die Erzählung, begrüßt den Neuankömmling freundlich mit den Worten "Come on in, we're just talking about the theory of relativity."
"We are scientists" informiert er die Dame und stimmt einen Song an; der Refrain geht in etwa so: "Isotopes, isotopes. The nuclear bomb was meant to stay. Isotopes, isotopes-" Die Band steigt sofort mit ein. Das Lied erinnert mich ein bißchen an diesen Sommerhit, ist aber natürlich viel, viel schmißiger. Ich lache Tränen-

2 Kommentare:

  1. Klasse Typ dieser Kelly. Hab die Show sehr genossen. Klasse abends insgesamt...

    Gruss, Vitali

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  2. Herr Vitali!

    Schön, von Ihnen zu hören!
    Echt ein wunderbarer Abend. Schade, das es morgen keine Parallelwelt mit Stromgitarre geben wird, schnief.

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